
Die Wissenschaft ist sich einig:Der Meeresspiegel steigt messbar an.
Trotzdem wird immer wieder anderes behauptet:Eine gerade kursierende Fotostrecke vom Zuckerhut,einem imposanten Berg im Meer vor der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro,die mit den Zahlen 1880,1910 beziehungsweise 2020 beschriftet sind,sollen suggerieren,dass der Meeresspiegel nicht steigen würde.
Einzelne Fotos haben keine Aussagekraft
Aus diesen Fotos lässt sich keinerlei Aussage über Veränderungen des Meeresspiegels ableiten. Fotos sind Momentaufnahmen,der Meeresspiegel schwankt ständig wegen der Gezeiten und anderer Meeresdynamiken.
Der weltweite durchschnittliche Meeresspiegel ist seit 1900 messbar gestiegen. Auch in Rio de Janeiro,wo die Bilder aufgenommen wurden,ist der Meeresspiegel ähnlich stark angestiegen.
Meeresspiegelanstieg in Rio liegt im weltweiten Durchschnitt
Eine Fotorückwärtssuche nach den Bildern bestätigt:Sie zeigen den Zuckerhut (Pão de Açúcar),eine bekannte Sehenswürdigkeit in Rio de Janeiro,Brasilien.
Das Permanent Service for Mean Sea Level (PSMSL) des britischen National Oceanography Centre (NOC) sammelt weltweit Meeresspiegeldaten und wertet diese aus. Dort sind Daten verfügbar,die bei Ilha Fiscal (Grafik,Zahlen),einer vor Rio liegenden Insel,nur etwa 6 Kilometer entfernt vom Zuckerhut,erhoben werden. Sie zeigen einen deutlichen Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen 60 Jahren.
Das durchschnittliche Meeresspiegelniveau bei Ilha Fiscal betrug im Jahr 1965 rund 6817 Millimeter;im Jahr 2022 waren es 7048 Millimeter. Den höchsten Jahresdurchschnitt erreichte der Meeresspiegel 2020 mit 7102 Millimetern. Damit liegt der Anstieg in Rio de Janeiro in etwa im weltweiten Durchschnitt.
Globaler Meeresspiegelanstieg
Die European Environment Agency (EEA,Europäische Umweltagentur) beziffert den durchschnittlichen globalen Anstieg des Meeresspiegels seit 1900 auf 21 Zentimeter. Laut Copernicus ist der Meeresspiegel weltweit durchschnittlich von "1901 bis 2018 um etwa 15-25 cm gestiegen". Die US-Behörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) geht von 21 bis 24 Zentimetern seit 1880 aus.
Der Meeresspiegel steigt weltweit - nicht nur in der Nähe von Rio de Janeiro. Da Masse und Gravitation ungleichmäßig über die Erde verteilt sind und viele weitere Faktoren die komplexe Dynamik der Ozeane beeinflussen,verläuft der Anstieg des Meeresspiegels nicht überall gleich schnell.
Es sei "völliger Unsinn",anhand dieser drei Fotos zu behaupten,der Meeresspiegel sei nicht gestiegen,erklärt Riccardo Riva,Geophysiker an der Technischen Universität Delft mit Schwerpunkt Meeresspiegelveränderung schriftlich auf Anfrage der Deutsche Presse-Agentur (dpa).
Aufgeschüttetes Land
Auf die Frage nach der Entwicklung seit 1880 antwortet Riva:"Der Meeresspiegel im südlichen Atlantik ist seitdem um etwa 30 Zentimeter gestiegen. Wie soll man 30 Zentimeter Unterschied auf ein paar Fotos erkennen,die aus so großer Entfernung aufgenommen wurden?"
Darüber hinaus verändert sich der Meeresspiegel auch auf Wochen- und Monatsskalen "durch atmosphärische Effekte,mit Abweichungen von bis zu 10 Zentimetern",so Riva. Ebenso können die Gezeiten zu Unterschieden von rund einem Meter führen.
Er weist außerdem auf die Möglichkeit hin,dass Land künstlich aufgeschüttet wurde - wodurch es auf Fotos über die Zeit so wirken kann,als sei der Meeresspiegel gesunken. In Rio de Janeiro ist das tatsächlich der Fall.
Große Teile der Küstenlinie von Rio,einschließlich des Stadtteils Urca rund um den Zuckerhut,entstanden auf aufgeschüttetem oder künstlich erweitertem Land. Ein brasilianischer Professor der Universidade de São Paulo für Küstendynamik sagte der Deutschen Welle,dass auch das auf den Bildern sichtbare Küstenstück im Laufe des 20. Jahrhunderts auf diese Weise entstanden sei.